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PRESSEMITTEILUNG: Flüchtlingsanerkennungen für georgische LSBTI*

BERLIN, 28. Oktober 2020

Das Verwaltungsgericht Berlin stellt Gruppenverfolgung von LSBTI* in Georgien aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität fest.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) hat mit einer Grundsatzentscheidung vom August 2020 die zuvor vom VG Berlin zuerkannten Flüchtlingseigenschaften bzw. ein Abschiebungsverbot für fünf georgische LSBTI*-Geflüchtete (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter*) bestätigt (vgl. OVG 12 N 8/20, OVG 12 N 110/20, OVG 12 N 118/20, OVG 12 N 155/20). Die Entscheidungen sind damit rechtskräftig.

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beschied die Asylanträge der georgischen Antrag-stellenden zunächst negativ. Dagegen erhoben die Betroffenen mit Hilfe ihrer Anwält*innen Dirk Siegfried und Inken Stern Klage vor dem VG Berlin. Mit Erfolg: ihnen wurde teilweise die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Das BAMF akzeptierte diese Entscheidungen nicht und stellte in allen Verfahren einen Antrag auf Zulassung der Berufung.

Das OVG bestätigte nicht nur die Entscheidungen des VG, in denen jeweils eine Gruppenverfolgung von LSBTI* aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bzw. geschlechtlichen Identität angenommen und die mangelnde Schutzbereitschaft des georgischen Staates festgestellt wurde. Das OVG stützt sich zudem auf eigene Erkenntnismittel. So stellt das Gericht unter anderem fest, dass der Einfluss von Antigender-Gruppen und Homophobie in der georgischen Gesellschaft nach wie vor stark ist. Die Unterdrückung und Diskriminierung von sexuellen Minderheiten ist allgegenwärtig. LSBTI* sind mit außergewöhnlicher Aggression und Diskriminierung konfrontiert. Der georgische Staat reagiert hierauf meistens weder aktiv noch wirksam. Der vor Jahren angestoßene Transformationsprozess zur Wahrung der Rechte sexueller Minderheiten entbehrt aktuell weiterhin ausreichender Effektivität.

Verfolgungshandlungen erfolgen ebenfalls von Seiten der georgisch-orthodoxen Kirche. Die in der Gesellschaft tief verankerte orthodoxe Kirche ist ein treibender Akteur von Diskriminierungen und Bedrohungen gegenüber sexuellen Minderheiten.

Inken Stern kommentierte die Entscheidungen wie folgt: „Es ist inhaltlich stimmig, wie das OVG den Zulassungsantrag abgelehnt hat. Das BAMF hätte die Erkenntnismittel, die den Entscheidungen entgegenstehen sollen, darstellen und sich mit diesen auseinandersetzen müssen. In Georgien besteht eine öffentlich gelebte Feindlichkeit gegenüber LSBTI*. Der notwendige staatliche Schutz fehlt. Dies hat das VG zu Recht erkannt und ich bin sehr froh, dass es diese Grundsatzentscheidungen gab.“

Abzuwarten bleibt, ob das BAMF seine Entscheidungspraxis angesichts dieser Entscheidungen abändern wird. Bis dato zeigt es sich unbeeindruckt. Georgien gilt als eines der Länder, in denen die Anerkennungsquote als gering erachtet wird. In Berlin werden Geflüchtete aus Georgien innerhalb von wenigen Tagen zur Anhörung geladen und negativ beschieden. Das BAMF stützt diese Entscheidungen nach wie vor auf eine angeblich nicht bestehende Verfolgungsgefahr.

Marcel de Groot, Geschäftsführer der Schwulenberatung Berlin fordert daher: „Diese Vorgehensweise für   LSBTI*- Geflüchtete verbietet sich wie bei anderen vulnerablen Gruppen aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit. Die Betroffenen benötigen Zeit zur Anhörungsvorbereitung sowie eine Anbindung an psychosoziale Beratung. Darüber hinaus bedarf es einer ernsthaften Auseinandersetzung des BAMF mit den bisher gefällten Entscheidungen.“

Die Entscheidungen des OVG zeigen zudem erneut, dass die geplante Einstufung Georgiens als sicheres Herkunftsland untragbar ist. Diese verstößt gegen die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das BVerfG hat in seiner Entscheidung vom 14. Mai 1996 (2 BvR 1507/93) festgestellt, dass Staaten, in denen eine Gruppenverfolgung angenommen wird, nicht als sichere Herkunftsstaaten eingestuft werden dürfen.

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