Aktuelles Stellungnahmen

Stellungnahme der Schwulenberatung Berlin zum Entwurf des Selbstbestimmungsgesetzes

Stellungnahme der Schwulenberatung Berlin zum Referentenentwurf des BMFSFJ und des BMJ über das Gesetz über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften (hier zum Download)

Die Schwulenberatung Berlin hat mit ihrer Beratungsstelle Inter*Trans*Beratung Queer Leben jährlich über 2.500 Beratungen für TIN* Erwachsene, Kinder und Jugendliche, ihre Angehörigen und beteiligte Fachkräfte. Es ist unser Anliegen, darzulegen, dass das SBGG im besten Fall bestehende Benachteiligungen mindern kann, dass andererseits aber der SBGG-E z. Zt. noch Elemente hat, die wir als problematisch erachten und zu denen wir Vorschläge unterbreiten.

Breites Bündnis pro geschlechtliche Selbstbestimmung

Das dem SBGG-E zu Grunde liegende Ziel der geschlechtlichen Selbstbestimmung von TIN* Menschen wird breit gesellschaftlich getragen; anlässlich des Eckpunktepapiers (2022) von BMFSFJ und BMJ haben sich relevante kirchliche, juristische sowie Frauen*- und Kinderschutzorganisationen unterstützend für geschlechtliche Selbstbestimmung und die geplante Gesetzesinitiative geäußert: z. B. Deutscher Frauenrat, Kinderschutzbund, Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Deutscher Juristinnenbund, Bundespsychotherapeutenkammer, Frauenhauskoordinierung e. V. und Autonome Frauenhäuser.

Trotz dieser breiten zustimmenden Basis enthält der SBGG-E z. Zt. jedoch noch Aspekte, die dem Ziel zuwiderlaufen, TIN* Menschen in der Ausübung ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung zu bestärken; sie sind z. T. vielmehr von einer Haltung des Misstrauens gegenüber etwaigen „Missbräuchen“ des SBGG geprägt; solche Narrative wurden v. a. im letzten Jahr von antifeministischen und rechten Kräfte in den Diskurs eingeschleust, die das Anliegen geschlechtlicher Selbstbestimmung von TIN* Menschen absichtsvoll diffamieren; obwohl selbst in der Begründung zum SBGG-E (S. 23/24) festgestellt wird, dass „keiner der befragten europäischen Staaten, in denen es bereits niedrigschwellige Möglichkeiten zur Änderung des Geschlechtseintrags gibt, von Anträgen auf Änderung des Geschlechtseintrags berichtet, die mit betrügerischer Absicht oder zur Begehung einer Straftat gestellt wurden“.

Dieses negative „Hintergrundecho“ zeigt sich im SBGG-E u. a. in der vorgesehenen dreimonatigen Wirksamkeitsfrist, der einjährigen Sperrfrist, den Erschwernissen für TIN* Minderjährige und Menschen mit gesetzlicher Betreuung sowie der unverhältnismäßig hohen Gewichtung des Themas „Hausrecht“.

1. Kommentierung SBGG

Wir begrüßen den grundsätzlich entpsychopathologisierenden Anspruch des SBGG, das mittels einer Erklärung beim Standesamt eine Änderung der Vornamen und des Geschlechtseintrags ermöglichen wird.

 

Zu § 2 – Erklärungen zum Geschlechtseintrag und zu den Vornamen

Wir empfehlen, über die in Art. 3 SBGG-E genannten Änderungen des § 45b PStG hinaus, die Inanspruchnahme des SBGG einem größeren Personenkreis als bislang zu ermöglichen: Aktuell können ukrainische Geflüchtete nach § 24 Aufenthaltsgesetz keinen (mehrmals) verlängerbaren Aufenthalt haben. Es wäre deshalb wichtig, dass der § 45b PStG hier ergänzt wird.

Wir fordern daher, dass auch jene Personen ihren Geschlechtseintrag und Vornamen ändern können, die sich vorübergehend in Deutschland aufhalten; in Anspruch nehmen können sollen ihn auch TIN* Geflüchtete im Asylprozess oder mit Duldung, Studierende und Menschen mit Arbeits- oder Ausbildungs-Visa.

Aus der Beratung kennen wir viele Fälle von geflüchteten TIN* Personen, die teils jahrelang auf ihren BAMF-Beschluss bzw. verlängerbaren Aufenthaltstitel warten. Wir empfehlen, dass schon während dieser Wartezeit eine Änderung des Geschlechtsantrags bzw. des/der Vornamen beim Standesamt erklärt werden kann. Auf diese Weise wird gewährleistet, dass Menschen sich hinsichtlich ihrer Geschlechtsidentität stimmig ausweisen können. Eine z. Zt. besonders durchs Raster fallende Gruppe sind Personen mit einer Duldung, denn auch diese wird in der Regel nicht als verlängerbarer Aufenthalt anerkannt. Auch deshalb wäre es sinnvoll, Personen mit einem vorübergehenden Aufenthalt im SBGG einzubeziehen. Ähnliches gilt für ausländische Studierende, die in Deutschland ihre Transition begonnen haben und sich so zumindest im deutschen Behördenalltag stimmig ausweisen könnten.

Wir begrüßen die in der Begründung des SBGG-E (S. 36) beschriebene neue Auswahl von Vornamen, die besser als heute ermöglichen wird, geschlechtliche Vielfalt abzubilden. Wir weisen jedoch darauf hin, dass die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Gesetz über die Änderung von Familiennamen und Vornamen (NamÄndVwV) anderes aussagt, in der es heißt: „Für Personen männlichen Geschlechts sind nur männliche, für Personen weiblichen Geschlechts nur weibliche Vornamen zulässig. Nur der Vorname Maria darf Personen männlichen Geschlechts neben einem oder mehreren männlichen Vornamen beigelegt werden.“

Auch geben wir zu bedenken, dass v. a. nicht-binäre Menschen mittels § 2 Abs. 1(1) aufgerufen sind, ihren Geschlechtseintrag nur entweder in „divers“ zu ändern oder zu streichen, obwohl diese beiden Einträge weitreichende Folgen haben können (z. B. nicht immer erwünschte Sichtbarkeit, Diskriminierung) und trotz an sich bester Passung für manche nicht-binären Personen aus diesen Gründen daher nicht die beste Wahl sind.

Problematisch erscheint uns, dass in der Begründung zu § 2 Abs. 2 (S. 35) definierte Entscheidungsgrundlagen fehlen, anhand derer Standesämter entscheiden sollen können, ob sie „eigene Ermittlungen“ aufnehmen, um „falsche Eintragungen“ herauszufiltern, sowie Kriterien, die ggf. zu einer „Berichtigung von Amts wegen“ führen; ansonsten würde drohen, dass TIN* Menschen, die die Erklärung abgeben möchten, ungerechtfertigt in Frage gestellt würden.

 

Zu § 3 – Erklärungen von Minderjährigen und Personen mit Betreuer

TIN* Kinder und Jugendliche sind die schwächsten Glieder in der Geltendmachung ihrer geschlechtlichen Selbstbestimmung, und werden durch die Verweigerung einer rechtlichen Transition durch Eltern, Vormünder oder Familiengerichte jedoch besonderer Diskriminierung ausgesetzt, z. B. betreffs Verwendung von Deadnames in Zeugnissen, oder bei der Suche nach Ausbildungsplätzen, wenn Deadname und gewünschter Vorname (noch) nicht übereinstimmen.

In der bisherigen Fassung würde § 3 bedeuten, dass Eltern(teile), die nicht zustimmen, letztlich entscheiden. Es ist nicht anzunehmen, dass Personen zwischen 14 und 17 Jahren, die bei den Sorgeberechtigten wohnen und in einem existentiellen Abhängigkeitsverhältnis zu ihnen stehen, ihre Eltern auf Kindeswohlverletzung vor einem Familiengericht verklagen. Auch droht in diesem Fall, dass zum Erlangen der erforderlichen Zustimmung über Familiengerichte wieder eine psychiatrische/psychologische „Begutachtung“ verlangt werden könnte, sowie ein Bruch mit Art. 12 („Berücksichtigung des Kindeswillens“) der UN-Kinderrechtskonvention.

Wir schlagen eine Regelung ab 16 Jahren ohne Einverständniserfordernis der gesetzlichen Vertreter*innen vor (wie z. B. die Inanspruchnahme medizinischer Maßnahmen wie eine Therapie ab 15 ohne Einwilligung möglich ist).

Da die vorgesehene einjährige Sperrfrist aus § 5 Abs. 1 SBGG-E nicht für unter 18-Jährige gelten soll, muss u. E. n. mindestens in der Begründung festgehalten werden, dass verhindert werden muss, dass Minderjährige nach einer Erklärung über die Änderung von Vornamen bzw. Geschlechtseintrag (ob unter den Voraussetzungen des derzeitigen SBGG-E oder – falls § 3 Abs. 1 entsprechend geändert wird – ohne erforderliche Zustimmung der Eltern) – von Eltern(teilen) anschließend doch unter Druck gesetzt werden, sie rückgängig zu machen.

Der SBGG-E sieht z. Zt. keinerlei Möglichkeit vor, dass Minderjährige unter 14 ihre(n) Vornamen bzw. Geschlechtseintrag ändern können, wenn Eltern die Erklärung nicht stellvertretend für das Kind abgeben wollen – das sollte zu Gunsten der unter 14-Jährigen erleichtert werden. Es sollte daher Minderjährigen unter 14 Jahren möglich sein, dass ein Familiengericht einbezogen wird, wenn Sorgeberechtigte eine Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und/oder der Vornamen nach § 2 entgegen dem Kindeswohl verhindern wollen, analog zu § 3 Abs. 1.

Auch für unter 18-jährige inter* Jugendliche bedeutet § 3 noch keine Selbstbestimmung. Sobald eine Willens-bekundung eines inter* Kindes oder einer jugendlichen inter* Person für die Änderung des Vornamens und/oder Geschlechtseintrags formuliert wird, sollte dies losgekoppelt vom Alter der inter* Person sowie von der Zustimmung sorgeberechtigter Personen und Familiengerichten sein. Familien mit inter* Kindern/Jugendlichen ist es nicht zumutbar, die familiäre Inter*-Geschichte nochmal einem Familiengericht unterbreiten zu müssen. Es kann traumatisierend besonders für die inter* Kinder und Jugendlichen sein, so vor Gericht exponiert zu werden und zu Rechtfertigungsdruck und damit Unwohlsein führen.

Auch wird im SBGG diesbezüglich nicht klar, inwieweit Familiengerichte zu TIN*-Anliegen fortgebildet werden. Wir regen zu entsprechenden Vorkehrungen an, um übergriffige Fragen und eine mögliche Zuschaustellung von minderjährigen TIN* zu verhindern.

Wir fordern, dass ein Vormund keine Genehmigung des Familiengerichts einholen muss, um die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und des/der Vornamen für ein Mündel abzugeben.

Ein Vormund wird durch das Familiengericht eingesetzt und übernimmt die kompletten Elternpflichten und -Rechte, wenn Eltern nicht in der Lage sind, ihnen selbst nachzukommen. Wenn Eltern darüber entscheiden dürfen (§ 3 Abs. 1), ob Geschlechtseintrag bzw. Vorname(n) geändert werden, ohne dafür ein Familiengericht einschalten zu müssen, sollte auch ein Vormund darüber ohne Zustimmung des Familiengerichts entscheiden dürfen. Andernfalls droht gerade diesen minderjährigen Personen eine „Begutachtung“, da zu befürchten steht, dass Familiengerichte auf dieser Grundlage für oder gegen die Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags bzw. des/der Vornamen einer minderjährigen Person entscheiden, wenn allein die Befürwortung und Unterstützung durch die Vormundschaft als nicht ausreichend erachtet würde.

Den in § 3 Abs. 3 vorgesehenen Einwilligungsvorbehalt, den bestellte Betreuer*innen z. B. auch bei Eheschließungen nicht haben, sehen wir auch im Fall der Änderung von Vornamen und/oder Personenstand als obsolet an.

Wir fordern § 1903 Abs. 2 BGB zu ergänzen, damit sich der Einwilligungsvorbehalt nicht auf Erklärungen von Geschlechtseintrag und Vornamen erstrecken kann.

 

Zu § 4 Wirksamkeit; Rücknahme der Erklärung

Anders als noch in den Eckpunkten des BMFSFJ und BMJ sieht der SBGG-E eine 3-monatige Wirksamkeitsfrist vor, für die es u. E. n. jedoch weder wissenschaftliche noch andere Grundlagen gibt; dass „der erklärenden Person die Tragweite der durch die Erklärung bewirkten Folgen bewusst ist“, wird bereits dadurch gewährleistet, dass sie dies gemäß § 2 Abs. 2 versichert; angesichts dessen, dass sich TIN* Menschen über lange Zeiträume auch mit Fragen zu rechtlichen Schritten zur Passung von Geschlechtsidentität, Vornamen und Geschlechtseintrag beschäftigen, würde eine aufgeschobene Wirksamkeit das Ziel untergraben, die Selbstbestimmung hinsichtlich Geschlechtszuordnung und Vornamenswahl zu stärken.

Die in § 4 SBGG genannte Wirksamkeitsfrist stellt außerdem für inter* Personen eine unzumutbare Verschlechterung gegenüber dem Status Quo dar, verzichtet der derzeitige § 45b PStG doch auf eine Wirksamkeitsfrist.

Wir fordern daher, § 4 SBGG ersatzlos zu streichen.

 

Zu § 5 Sperrfrist; Vornamenbestimmung bei Rückänderung

Wir lehnen die als „Übereilungsschutz“ im SBGG-E genannte Sperrfrist von einem Jahr ab und fordern, § 5 Abs. 1 zu streichen; auch Zahlen aus anderen Ländern mit Selbstbestimmungsgesetzen zeigen, dass es nur in Einzelfällen zu Folgeänderungen kommt.

Wir fordern, in § 5 Abs. 2 SBGG die „schwerwiegenden Gründe“ als Erfordernis für neue Vornamen bei Rückänderung des Geschlechtseintrags zu streichen, da dieses Erfordernis erstens meist nicht-zutreffende „lineare Rückentwicklungen“ von geschlechtlicher Identität imaginiert, und zweitens in der Praxis bedeuten kann, dass Menschen entgegen dem Ziel geschlechtlicher Selbstbestimmung wieder Schreiben z. B. von Psychotherapeut_innen beibringen müssen, um „nachzuweisen“, dass es schwerwiegende Gründe gibt.

 

Zu § 6 – Wirkungen der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen

Wir verstehen § 6 Abs. 1 als eine Verschlechterung gegenüber dem Status Quo, indem darin so stark auf den Geschlechtseintrag abgestellt wird. Da Menschen heute schon in bestimmten Fällen Ansprüche darauf haben, mit bestimmten Namen und Anreden angesprochen zu werden, auch ohne dass der Geschlechtseintrag bereits der Geschlechtsidentität entsprechend angeglichen ist, müssen solche Ansprüche erhalten bleiben, um nicht hinter den bisherigen Status Quo zurückzufallen.

Wir fordern daher die ersatzlose Streichung von § 6 Abs. 1.

Anlässlich § 6 Abs. 2 und seiner Begründung zeigt sich sehr die problematische Diskursverschiebung, hin zu absichtsvoll im Diskurs platzierten vorgeblich konstruierten Szenarien, die die Integrität v. a. von trans*weiblichen Menschen in Frage stellen wollen; somit befördert § 6 Abs. 2 eher Ressentiments gegenüber TIN* Menschen, indem in der Begründung einige geschlechtsspezifische Lebensbereiche herausgegriffen werden (geschlechtsspezifische Toiletten, Umkleideräume, Saunen, Frauenhäuser, Frauenparkplätze, Sportvereine sowie die Unterbringung im Justizvollzug): alles Lebensbereiche, in denen TIN* Menschen heute schon Ausschlüssen bzw. oft Nicht-Anerkennung der geschlechtlichen Identität ausgesetzt sind, hingegen in der Begründung v. a. darauf abgezielt wird, dass das „eingetragene Geschlecht weder bisher noch künftig entscheidend ist“.

Wir fordern daher die ersatzlose Streichung von § 6 Abs. 2.

§ 6 Abs. 3 über die Bewertung sportlicher Leistungen unabhängig vom Geschlechtseintrag droht, trotz der gesellschaftlichen Bedeutung von Sport, die Teilhabe von TIN* Menschen am Breitensport vollständig in die Hände von Sportvereinen / -verbänden zu legen, was wir als problematisch gegenüber den Teilhabemöglichkeiten von TIN* v. a. am Breitensport erachten. Schon heute sind sowohl Individual- wie Teamsport v. a. binär orientiert und ist TIN* Personen der Zugang zu Sportangeboten erschwert oder verwehrt, und fehlen für sie oft Regularien und passende Wettbewerbskategorien.

Wir fordern daher die ersatzlose Streichung von § 6 Abs. 3.

Während § 6 Abs. 4 für nicht-transitionsspezifische Gesundheitsversorgung unterstützend erscheint, weil sich in der Beratungspraxis immer wieder vereinzelt Probleme zeigen, z. B. wenn trans* Männer gynäkologische Behandlungen benötigt haben und die Krankenkasse die Kosten nicht tragen wollte, weil die Behandlung „nur für Frauen“ übernommen werde, lässt er betreffs transitionsspezifischer Gesundheitsversorgung die Kostenübernahme durch die Krankenkassen gefährdet erscheinen; denn obwohl in Deutschland medizinische und rechtliche Transition getrennt sind, ist es bei Anträgen auf Kostenübernahme oft unterstützend gewesen, auch Nachweise nach VÄ/PÄ durch das TSG einzureichen.

Wir fordern daher die ersatzlose Streichung von § 6 Abs. 4.

 

Zu § 7 – Quotenregelungen

Aus unserer Sicht ist es problematisch, dass in § 7 Abs. 1 SBGG Personen mit Geschlechtseintrag „divers“ bzw. nach Streichung eines Geschlechtseintrags keine explizite Berücksichtigung finden, obwohl auch sie in Lebensbereichen wie z. B. der Arbeitswelt unterrepräsentiert und damit strukturell benachteiligt sind.

Hinsichtlich § 7 Abs. 3 SBGG halten wir es für sinnvoll, dass darin deutlich gemacht wird, dass TIN* Personen nicht aufgrund eines eigenen Beschlusses der jeweils quotierenden Stelle einfach von der Besetzung von Gremien und Organen ausgenommen werden können, da dies Teilhabe verunmöglichen und dem Diskriminierungsschutz von TIN* Personen nicht Genüge tun würde.

 

Zu § 8 – Anwendbarkeit von Rechtsvorschriften zu Gebär- und Zeugungsfähigkeit

Wir begrüßen die in § 8 SBGG getroffene Aussage. Als problematisch erachten wir, dass in § 8 Abs. 2 SBGG auch mittels Begrifflichkeiten stark auf binärgeschlechtlich normierende und biologische Rollen fokussiert wird („leiblicher Vater“, „Mutter“).

 

Zu § 9 – Zuordnung zum männlichen Geschlecht im Spannungs- und Verteidigungsfall

Im Eckpunktepapier tauchte dieser Punkt nicht auf, hat jedoch nun in den SBGG-E Einzug gehalten; in einer am 28.4.23 von Medien berichteten Vorfassung enthielt § 9 noch eine Härtefallklausel („sofern dies im Einzelfall keine unbillige Härte darstellen würde“), selbst die im SBGG-E nun nicht mehr vorkommt. Es würde sich u. E. n. um eine hochproblematische „Militarisierung“ von TIN* Menschen auf unbestimmte Zeit („für die Dauer des Spannungs- und Verteidigungsfalls“) handeln, die noch über den Personenstand „männlich“ verfügen, oder ihn in den – zeitlich willkürlich erscheinenden – zwei Monaten vor Feststellung des Spannungs- und Verteidigungsfalls geändert haben.

Dies steht in Widerspruch zu § 1 Abs. 1, Satz 1 und 2 SBGG, unterstellt trans* Frauen und inter* und nicht-binären Menschen mit (noch) männlichem Personenstand eine Betrugsabsicht, und entzöge ihnen im Spannungs- und Verteidigungsfall ihr Recht auf geschlechtliche Selbstbestimmung auf unbestimmte Zeit; einzig um, wie es in der Begründung heißt, „einer Umgehung der Dienstpflicht an der Waffe im Spannungs- oder Verteidigungsfall entgegenzutreten“, d. h. Missbräuchen durch cis (d. h. nicht trans*) Männer bzw. endo (d. h. nicht-inter*) Männer vorzubeugen; deswegen trans* Frauen mit noch männlichem Personenstand aufzuerlegen, im Spannungs- und Verteidigungsfall entgegen ihrer geschlechtlichen Identität Dienst an der Waffe zu leisten, ist nicht hinnehmbar; siehe auch die Not von trans* Frauen in der Ukraine mit noch männlichem Personenstand in Folge des russischen Angriffskriegs, die angesichts der Generalmobilmachung an der Ausreise gehindert wurden. Es würde außerdem – bezogen auf das SBGG – gegen den Gleichheitssatz verstoßen, da § 9 Erklärungen von z. B. trans* Männern zur Änderung ihres Geschlechtseintrags bzw. ihres/ihrer Vornamen weiter zulässt (die dann wiederum zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden dürften). Doch auch im Spannungs- und Verteidigungsfall greifen Art. 12a Abs. 2 GG, Art. 4 Abs. 3 GG und § 1 Kriegsdienstverweigerungsgesetz und kann der Dienst an der Waffe verweigert werden; niemandem mit männlichem Geschlechtseintrag würde also ein Vorteil daraus entstehen, zu diesem Zweck den Geschlechtseintrag zu wechseln.

Wir fordern daher die ersatzlose Streichung von § 9.

 

Zu § 10 – Änderung von Registern und Dokumenten

TIN* Menschen ohne Einkommen oder mit niedrigem Einkommen sind die Kosten nicht zumutbar, die mit den nötig werdenden Neuausstellungen von Dokumenten mit Angaben zum Geschlecht und dem/den Vornamen anfallen. Wir empfehlen, die Kosten in diesen Fällen zu erlassen, denn andernfalls droht ein Verzicht aus Gründen der finanziellen Belastung, inkl. dann notwendig werdender Outings, wenn Dokumente nicht mit geändertem Geschlechtseintrag bzw. Vornamen übereinstimmen.

 

Zu § 11 – Eltern-Kind-Verhältnis

Indem nach § 11 Abs. 1 Satz 1 die gebärende Person automatisch Mutter und die zeugende Person automatisch Vater wird, unabhängig vom Personenstand, wird vielen TIN* Eltern ihre geschlechtliche Identität aberkannt und werden Diskriminierungen hervorgerufen, denn meist stimmt die äußere Erscheinung und alltäglich gelebte geschlechtliche Identität nicht mit der Elternrolle und den Namen überein, die in der Geburtsurkunde stehen. TIN* Eltern müssen sich somit immer wieder zwangsouten, z. B. bei Behörden, Kita- und Schulanmeldungen, aber auch bei Auslandsreisen, und sind so der Gefahr von Diskriminierung und Ungleichbehandlung ausgesetzt.

Die vorgeschlagene Interimslösung der nachträglichen Änderung auf „Elternteil“ ist nur dann für TIN* Eltern alltagserleichternd, wenn das Elternteil mit dem Identitätsnamen in der Geburtsurkunde steht und nicht der abgelegte Name genannt wird. Es ist empfohlen, dies gleich bei Erstbeurkundung zu ermöglichen, ohne dass eine nachträgliche Änderung der Geburtsurkunde des Kindes erforderlich wird. Die Bezeichnung „Elternteil“ schließt auch nicht-binäre Eltern ein, ist aber nicht passend für TIN* Personen, die in weiblicher oder männlicher Identität leben und als Mutter oder Vater benannt werden möchten. Die Bezeichnung „Elternteil“ ist auch mit einem Zwangsouting verbunden und einer möglichen Ungleichbehandlung, denn nach derzeitigem Recht werden nur TIN* Eltern und gleichgeschlechtliche Eltern, die eine Adoption gemacht haben, als Elternteil benannt.

§ 11 Abs. 1 Satz 2 unterstützt nur TIN* Väter, deren Geschlechtseintrag bei Geburt des Kindes männlich ist. Allerdings ist es problematisch, dass Menschen ohne männlichen Personenstand von der Möglichkeit der rechtlichen Elternschaft via Ehe oder Anerkennungserklärung ausgeschlossen werden, z. B. nicht-binäre und trans*weibliche Personen. Ebenso problematisch ist, dass die Möglichkeit einer nachträglichen Änderung der Geburtsurkunde fehlt, wenn eine Personenstandsänderung erst nach der Geburt erfolgt, denn auch hier entspricht die Elternrolle bzw. Name in der Geburtsurkunde nicht der gelebten geschlechtlichen Identität des Elternteils und ruft Diskriminierung hervor.

 

Zu § 12 – Geschlechtsneutrale Regelungen

Wir begrüßen die in § 12 getroffene Klarstellung, sie ersetzt aber nicht, dass § 3 Grundgesetz geändert werden müsste und geschlechtliche und sexuelle Identität dort festgehalten werden sollten. § 12 könnte eine größere Tragweite haben, wenn dadurch z. B. ein Rechtsanspruch für geschlechtsneutrale Toiletten entstehen könnte.

 

Zu § 13 – Offenbarungsverbot

Aus der Beratung ist bekannt, dass Anfeindungen gegen und Nicht-Akzeptanz von TIN*-Identitäten, sowie psychische und physische Gewalt gerade durch ehemalige Partner*innen und Angehörige häufig vorkommt; daher würden die in § 13 Abs. 2 Satz 1 genannten Ausnahmen vom Offenbarungsverbot es gerade ihnen ermöglichen, unter Umgehung von Bußgeld, wie es in § 14 geregelt wird, sich dem Offenbarungsverbot zu entziehen.

Anstelle des bisherigen § 13 Abs. 2 Satz 1 empfehlen wir, ihn wie folgt zu ändern: „Der frühere und der derzeitige Ehegatte, die Verwandten in gerader Linie und der andere Elternteil eines Kindes der in Absatz 1 genannten Person dürfen die vor der Änderung zugewiesene Geschlechtszuordnung und die davor geführten Vornamen nur gegenüber Dritten offenbaren, wenn dieses zur Wahrung ihrer eigenen rechtlichen Interessen unerlässlich ist oder die schriftliche Zustimmung der in Absatz 1 genannten Person vorliegt.“

 

Zu § 14 – Bußgeldvorschriften

Wir begrüßen, dass in § 14 Abs. 2 SBGG Verstöße gegen das Offenbarungsverbot aus § 13 künftig anders als bislang im TSG bußgeldbewehrt sein werden. Es ist z. Zt. jedoch noch nicht im SBGG-E geregelt, dass Verstöße gegen das Offenbarungsverbot bezogen auf frühere Änderungen über TSG und § 45b PStG bußgeldbewehrt sein werden. Das empfehlen wir in § 14 SBGG zu ergänzen, um auch gegen solche Verstöße vorgehen zu können.

Problematisch ist die in § 14 Abs. 1 zur Voraussetzung einer Ordnungswidrigkeit gemachte absichtliche Schädigung; diese Einschränkung hätte zur Folge, dass fahrlässig erfolgte Fremdoutings nicht bußgeldbewehrt wären; Personen, die gegen das Offenbarungsverbot verstoßen, könnten somit jederzeit argumentieren, dass der Verstoß gegen das Offenbarungsverbot nicht schädigend bzw. nicht absichtlich gewesen sei; es wäre an der vom Verstoß gegen das Offenbarungsverbot betroffenen TIN* Person selber, nachzuweisen, doch absichtsvoll geschädigt worden zu sein, was eine nicht zumutbare Umkehr der Verantwortlichkeiten zu Lasten der betroffenen TIN* Person darstellen würde.

Wir fordern daher, § 14 Abs. 1 ohne die Einschränkung zu formulieren, dass die betroffene Person absichtlich geschädigt worden sei.

Zu Artikel 2 – Änderung des Passgesetzes

Wir begrüßen die vorgesehenen Änderungen des Passgesetzes.

 

Zu Artikel 13 – Evaluierung

Eine Evaluierung des SBGG möge durch ein externes wissenschaftliches Institut unter Hinzuziehung der Expertise von TIN*-Selbstvertretungsorganisationen sowie TIN*-spezialisierten Beratungsstellen erfolgen, um sicherzustellen, dass die Erfahrungen von TIN* Personen mit dem neuen Gesetz frühzeitig erfasst und ggf. ihnen mit dem SBGG erwachsene Schwierigkeiten abgebaut werden. Daher empfehlen wir eine Evaluierung bereits zwei Jahre nach seinem Inkrafttreten.

 

2. Weitere Forderungen

Erweiterte Definition von Nicht-Binarität:

Die im SBGG-E unter „A. Problem und Ziel“ genannte Definition von Nicht-Binarität („Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen (nichtbinäre Personen)“) greift zu kurz. Daher empfehlen wir eine inklusivere Definition: „…Personen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, sich sowohl dem männlichen als auch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen, oder sich nicht ausschließlich dem männlichen oder weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen (nichtbinäre Personen) …“.

Entschädigungsfonds

Im SBGG fehlen Entschädigungsregelungen für trans* und inter* Personen (z. B. durch die im TSG jahrelang geforderten Sterilisationen und Scheidungen, die erst durch das BVerfG gekippt worden sind, sowie ein fehlendes OP-Verbot an inter* Kindern bis 2021). Diese Entschädigungen sollten auf Basis von Selbstauskunft ohne Nachweispflicht erfolgen und rückwirkend garantiert werden.

Wir fordern daher, wie auch im Koalitionsvertrag und dem Eckpunktepapier zum SBGG genannt, die zeitnahe Einrichtung eines Entschädigungsfonds mit dem Ziel, inter* und trans* Menschen für an ihnen begangene Menschenrechtsverletzungen zu entschädigen.

Ausbau der Infrastruktur von Beratung

Sah das Eckpunktepapier zum SBGG noch vor, dass ein flächendeckender Ausbau der Beratungslandschaft für TIN* Menschen erfolgen soll, v. a. in den ländlichen Regionen, fehlt dieser Punkt im nun vorgelegten SBGG-E in Gänze. Menschen, die das SBGG nutzen wollen, sollen leichten Zugang zu freiwilliger Beratung mit TIN*-Expertise haben, auch Fortbildung für z. B. Standesbeamt*innen und Familiengerichte müssen sichergestellt werden. Der Ausbau der Beratungs- und Fortbildungsstrukturen sollte daher finanziell abgesichert sein bzw. weitere Mittel bereitgestellt werden.