Stellungnahme zur Trennung von unverheirateten LSBTI*- Partner_innen im Rahmen der Erstverteilung im Asylverfahren
Berlin, 2. Dezember 2020 Der Senat von Berlin hat im Juli 2019 die Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanzgeschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (IGSV) erlassen. Der ressortübergreifende Maßnahmenplan soll die politische Klammer für die gesamte Arbeit des Senats zu LSBTI* (lesbisch, schwul, bisexuell, trans*, inter*)Themen bilden. Im Rahmen dieses Maßnahmenplans wird den Berliner Migrationsbehörden aufgegeben,
„gleichgeschlechtliche Partnerschaften von Geflüchteten, die in einer dauerhaften, stabilen Beziehung stehen und die in ihrem Herkunftsland oder in dem Land ihres letzten dauerhaften Aufenthaltskeine Möglichkeit hatten, ihre Beziehung zu formalisieren, […] als „Ehegatten“im Sinne des § 26 Abs. 1 AsylG anzusehen und in allen Verfahrensstufen des Asylverfahrens als solche […] zu betrachten.“ (IGSV, Maßnahme 39)
Damit hat der Berliner Senat ausdrücklich anerkannt, dass gleichgeschlechtliche Partner*innen, denen eine Formalisierung ihrer Beziehung bisher unmöglich war, füreinander Familienangehörige dar stellen. Ihre Familieneinheit ist zu wahren.
Trotz dieser expliziten Klarstellung sind unverheiratete Partner*innen, die nacheinander einen Asylantrag stellen oder von denen sich bereits eine*r rechtmäßig im Land Berlin aufhält, im Rahmen der Erstverteilung von Asylantragstellenden von Familientrennungen bedroht. Die Fachstelle für LSBTI* Geflüchtete fordert, diese Praxis zu beenden und den Schutz des Familienlebens der betroffenen Partner*innen vollumfänglich sicherzustellen.
Hintergrund der Problematik ist das in § 46AsylG geregelte automatisierte EASY-(Erstverteilung von Asylbegehrenden)-Verteilverfahren. Dieses bestimmt innerhalb und zwischen den Bundesländern, welche Erstaufnahmeeinrichtung für Asylantragstellende zuständig ist. Familiäre Bindungen werden während des Verteilverfahrens nur insoweit beachtet, als dass sich gleichzeitig meldende Familienangehörige bei der zentralen Verteilstelle als Gruppe anzumelden sind, § 46 Abs. 3 S. 2 AsylG. Diese Familienangehörigen werden dann derselben Aufnahmeeinrichtung zugewiesen. Es entspricht den Erfahrungen der Fachstelle für LSBTI* Geflüchtete, dass das für die Erstverteilung zuständige Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) gleichgeschlechtliche Partner*innen, die gemeinsam Asyl beantragen, gemäß den Vorgaben des § 46 Abs. 3 AsylG in Verbindung mit der Maßnahme 39 der IGSV nicht trennt.
Zu Unsicherheiten kommt es erst dann, wenn Partner*innen sich nicht gemeinsam melden. In diesem gesetzlich nicht geregelten Fall droht immer wieder die Trennung der Partner*innen.
Inwiefern die Familieneinheit in diesen Fällen zu berücksichtigen ist, ist umstritten.
Teilweise wird vertreten, dass in dem Fall der zeitlich versetzten Meldung das familiäre Band der Asylantragstellenden nicht zu berücksichtigen sei. Eine Familienzusammenführung könne grundsätzlich erst im Rahmen der nachgelagerten landesinternen bzw. länderübergreifenden Verteilung realisiert werden (s. BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, 27.Edition § 46 AsylG, Rn. 9). Begründet wird diese Position unter anderem damit, dass das Verteilverfahren vorrangig öffentlichen Zwecken, namentlich einer kostengerechten Verteilung der Antragstellenden zwischen den Bundesländern und einer Beschleunigung des Asylverfahrens, zu dienen bestimmt sei.
Diese Position wird jedoch dem in Art. 6 Abs. 1 Grundgesetz und Art. 8 Abs. 1 Europäische Menschenrechtskonvention festgeschriebenen Schutz des Familienlebens nicht gerecht. Aus § 46 Abs. 3 S. 2 AsylG ergibt sich, dass im Rahmen der Erstverteilung sehr wohl auf familiäre Zusammenhänge Rücksicht zu nehmen ist. Es erschließt sich nicht, warum dieser Schutz des Familienlebens lediglich aufgrund der zeitlich versetzten Meldung geringer ausfallen soll. Soweit vorgetragen wird, dass die Gefahr der Trennung von nahen Familienangehörigen im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer des Aufenthalts in der Aufnahmeeinrichtung hingenommen werden könne (Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage2020, § 46 Rn. 6), so ist diese Position als veraltet anzusehen. Denn mit Gesetz vom 15. August 2019 ist die Verpflichtung, in der Erstaufnahmeeinrichtung zu wohnen, in zeitlicher Hinsicht verschärft worden. Betrug die Wohnpflicht vorher längstens bis zu sechs Monate, so gilt nunmehr eine generelle Höchstdauer von 18 Monaten. Ein Verweis auf die erst nach Beendigung der Wohnpflicht mögliche landesinterne bzw. länderübergreifende Umverteilung ist damit nicht mehr verhältnismäßig.
Auch aus Art. 12 der Richtlinie2013/33/EU (Aufnahme-Richtlinie) folgt die Pflicht, die Familieneinheit von sich nicht zeitgleich meldenden Partner*innen zu wahren. So schreibt dieser vor, dass die Familieneinheit im gesamten Asylverfahren „so weit wie möglich“ zu schützen ist. Daraus folgt, dass von dem Grundsatz der Familieneinheit nur in engen Grenzen Ausnahmen zulässig sind. Das öffentliche Interesse an einer gleichmäßigen Verteilung der öffentlichen Ausgaben ist dabei nicht geeignet, eine Ausnahme von der Regel der Familieneinheit darzustellen. Familiäre Bindungen müssen daher bereits zu Beginn des Asylverfahrens wesentliches Entscheidungskriterium der Verteil-Behörde sein. Soweit das rein computergesteuerte EASY-Verfahren durch die Nichtberücksichtigung von familiären Bindungen der Trennung von Familien Vorschub leistet, steht es im Widerspruch zu Art. 12 Aufnahme-RL. Diese ist insoweit noch nicht innerstaatlich umgesetzt. Wegen der fehlenden Umsetzung trotz Ablauf der Umsetzungsfrist zum 20. 07. 2015 können sich die betroffenen Personen unmittelbar auf Art. 12 Aufnahme-RL berufen. Die Vorschrift ist hinreichend konkret und bedingungsunabhängig (s. Linke/ Wessel; Expertise zur Situation unverheirateter gleichgeschlechtlicher Partner*innen im Asylverfahren, 2017).
Im Ergebnis ist festzuhalten, dass Familien auch in den Fällen zeitlich versetzter Meldung nicht getrennt werden dürfen. Personen, deren Partner*in sich bereits rechtmäßig in Berlin aufhält, müssen daher ebenfalls dem Land Berlin zugeteilt werden.
Das LAF teilt diese Ansicht nicht. Es erteilte im Rahmen eines von der Fachstelle für LSBTI* Geflüchtete betreuten Falles, die Auskunft, dass „eine Lebenspartnerschaft […] keine Grundlage für einen Berlin Verbleib [sei].“ Es bemängelte sodann, dass weder Nachweise zur Verlobung noch über einen Termin zur Eheschließung vorgelegt worden seien. Die Mitteilung über einen in Berlin lebenden Partner genüge nicht. Die daraufhin von der Fachstelle für LSBTI* Geflüchtete angestrebte Klärung, ob das LAF der Auffassung sei, dass Lebenspartnerschaften grundsätzlich nicht berücksichtigt werden oder sie doch unter bestimmten Kriterien zu einer Verteilung nach Berlinführen können, blieb bisher unbeantwortet.
Die Position des LAF ist vor dem Hintergrund der oben dargestellten grund- und europarechtlichen Vorgaben in Verbindung mit der klaren Formulierung in der IGSV nicht haltbar. Im Maßnahmenplan ist ausdrücklich klargestellt, dass„gleichgeschlechtliche Partnerschaften von Geflüchteten, die in einer dauerhaften, stabilen Beziehung stehen und die in ihrem Herkunftsland oder in dem Land ihres letzten dauerhaften Aufenthalts keine Möglichkeit hatten, ihre Beziehung zu formalisieren, […] als „Ehegatten“ im Sinne des § 26 Abs. 1 AsylG anzusehen[sind] “ (IGSV, Maßnahme 39). Für das EASY-Verfahren gilt insofern keine Ausnahme. Wird dargelegt, dass eine Partnerschaft, die die genannten Kriterien erfüllt, besteht, so muss das für eine Zuweisung an das Land Berlin genügen. Weder kann der Nachweis einer Verlobung noch eines Termins zur Eheschließung gefordert werden.
Nach Ansicht der Fachstelle für LSBTI*Geflüchtete sollte der bereits in der IGSV verfolgte Ansatz, familiäre Beziehungen nicht mehr anhand eines rein formalen Verwandtschaftsgrades, sondern anhand der faktisch gelebten, auf Dauer angelegten Beziehung zu bestimmen, noch ausgebaut werden. Im Einklang mit der Rechtsprechung des EGMR sollten zu berücksichtigende, familiäre Bande auch dort angenommenen werden, wo zwischen Personen ein tatsächliches Verhältnis von Nähe und ein effektives Zusammenleben besteht (siehe zur diesbezüglichen Rechtsprechung des EGMR: UNHCR Deutschland, „Wer gehört zur Familie?“, Asylmagazin 4/2017, S. 141). Im Rahmen eines solchen, flexibleren Familienbegriffes käme es auf die Frage, inwiefern für gleichgeschlechtliche Partner*innen bisher die Möglichkeit einer Formalisierung ihrer Beziehung bestand, nicht mehr an.
Für einen solchen, weit verstandenen Familienbegriff spricht insbesondere, dass den besonders schutzbedürftigen Partner*innen damit ermöglicht wird, in ihrem Alltag weiterhin füreinander Verantwortung zu übernehmen. Dieser familiäre Rückhalt erleichtert es den Betroffenenmaßgeblich, sich in ihren neuen Lebensumständen zu orientieren und einzufinden. Eine Trennung der de-facto-Familien hingegen birgt die Gefahr, bereits bestehende psychische Belastungen und Isolationsgefühle zu verstärken. Der daraus erwachsende erhöhte Bedarf an psychotherapeutischer Unterstützung kann letztlich nicht im öffentlichen Interesse sein.
Die Fachstelle für LSBTI* Geflüchtete fordert daher:
- Es ist sicherzustellen, dass gleichgeschlechtliche Partner*innen, die in einer dauerhaften, stabilen Beziehung stehen und die in ihrem Herkunftsland oder in dem Land ihres letzten dauerhaften Aufenthalts keine Möglichkeit hatten, ihre Beziehung zu formalisieren, im Rahmen des EASY-Verfahrens nicht getrennt werden. Dies gilt auch dann, wenn sich die Betroffenen nicht zeitgleich zur Asylantragstellung melden oder eine*r der Partner*innen bereits rechtmäßig in Berlin lebt. Die Betroffenen sind dem Land Berlin zuzuteilen.
- Zum Nachweis der dauerhaften und stabilen Beziehung darf entsprechend er Maßnahme 39 der IGSV weder eine Verlobung noch ein Termin zur Eheschließung verlangt werden. Insbesondere letzteres wird den für LSBTI* Geflüchtete üblicherweise bestehenden Schwierigkeiten, während des Asylverfahrens originale Personenstandsdokumente beizubringen, nicht gerecht.
- Von den Partner*innen darf nicht der Nachweis einer gemeinsamen Wohnung in ihrem Herkunftsland verlangt werden. Dies gilt insbesondere für Länder, in denen gleichgeschlechtliche Beziehungen unter Strafe stehen oder gesellschaftlich tabuisiert sind.
- Eine Mindestdauer der Partnerschaft sollte nicht verlangt werden. Entscheidend ist viel mehr, dass die Partnerschaft auf Dauer angelegt ist.
- Da Trennungen typischer Bestandteil einer Flucht sind, ist es unerheblich, wenn sich die Partner*innen vor ihrer Einreise nicht durchgehend am selben Ort aufgehalten haben. Ausschlaggebend ist ausschließlich die fehlende Möglichkeit der Eheschließung an den jeweiligen Aufenthaltsorten der Partner*innen.
- Den Betroffenen ist im Rahmen des Verteilverfahrens ausreichend Möglichkeit zu geben, bestehende familiäre Bindungen darzulegen. Nur so kann sichergestellt werden, dass das LAF das zu schützende familiäre Band erkennen und berücksichtigen kann.
- Die Intim- und Privatsphäre der Betroffenen ist während des Verteilverfahrens zu achten und zu respektieren. Fragen, die die Intimsphäre der Betroffenen berühren, sind zu unterlassen.
- Eine Verteilentscheidung, die die genannten familiären Bande der Antragstellenden nicht berücksichtigt, ist unverzüglich zurückzunehmen und die Zuteilung an das Land Berlin sicherzustellen.
- Perspektivisch sollte auf das Kriterium der bisher nicht möglichen Formalisierung der Beziehung der Partner*innen verzichtet werden. Alle Partner*innen, zwischen denen ein tatsächliches Verhältnis von Nähe und ein effektives Zusammenleben besteht sollten als Familienangehörige füreinander angesehen werden.